Verhör mit Lockenwicklern

Früher hatte ich jeden Samstag einen festen Termin. Und zwar um elf. Um elf Uhr deshalb, weil es Punkt zwölf Mittag gab. Nicht Mittagessen etwa. Nein, Mittag! 
Kurz vor elf stiefelte ich also die beiden Etagen zu meinen Großeltern hoch und wurde grundsätzlich von meiner Omma mit den Worten „Ach Kind, was haste denn da wieder an?“ im Empfang genommen. Mit meiner Art Mode zu interpretieren, war meine Omma nicht einverstanden. 

Ihren Haaren durfte ich aber jeden Samstag trotzdem den letzten Schliff verpassen. Das lief folgendermaßen ab. Wenn ich nach oben kam, hatte meine Omma bereits alles vorbereitet. Im Badezimmer lag ein braun-orange-gestreiftes Frotteetuch im Waschbecken.

Hierauf hatte meine Oma den Badezimmerspiegel platziert, der sonst über dem Waschbecken hing. Vor dem Spiegel lagen farblich sortiert bereits Lockenwickler, Stielkamm und Haarnadeln. Vor dem Waschbecken stand ein Küchenstuhl. Die Haare frisch gewaschen, mit jeder Menge Haarfestiger versehen, nahm meine Omma Platz, ich band ihr einen dieser kleinen grünen Frisierumhänge mit gewellten Spitzen um und dann ging es los.

 

Nach einem festgelegten Ritual zog ich links und rechts von der Schädelmitte zwei kerzengerade Scheitel. Meine Omma kontrollierte alles im Spiegel und oft dauerte das Scheiteln fast länger als das Eindrehen der Haare. Dann wurde vorne mit dem Stielkamm die erste Strähne abgetrennt. Nicht zu breit und nicht zu schmal. Ich begann mit den roten Lockenwicklern: abtrennen, eindrehen, feststecken. Natürlich nur mit den Haarnadeln mit den roten Köpfchen. Dann ab Mitte Hinterkopf ging es mit den grünen Wicklern weiter. Die waren ein wenig dicker als die roten. Festgesteckt – natürlich – mit den grünen Nadeln. Für die Seiten nahm ich dann die lilafarbenen Wickler, die auch noch eine andere Größe hatten.

 

Während der ganzen Prozedur unterwarf ich mich einer strengen Befragung. „Kind, was haste denn heute schon gegessen? Wer war der Junge, der gestern immer vor Eurem Wohnzimmerfenster mit dem Rad im Kreis gefahren ist und hochgeschaut hat? Was haste in der Deutscharbeit? Wieso trägt der Vater von Susanna jetzt die Haare so lang? Hast Du schon wieder die Shorts kürzer geschnitten? Wann bist Du eigentlich letzten Samstagabend nach Hause gekommen (DAS wusste sie ganz genau!)?“ Und wehe, ich hätte auch nur eine Frage unbeantwortet gelassen. Da konnte sie streng sein.  

 

Am Ende des Verhörs saßen die Haare aufgewickelt stramm am Kopf. Ich bewundere noch heute meine Omma, dass sie diese schmerzhafte Prozedur jede Woche klaglos über sich ergehen ließ. Heutzutage läuft sowas unter Lifting.  

Haare schön!

 

 

Am Schluss musste ich ihr mit einem Handspiegel noch den Kontrollblick auf den eigenen Hinterkopf ermöglichen. Alle Haare akkurat aufgewickelt? Prima, dann noch das lilafarbene Tuch umgebunden und es konnte weitergehen. Das lila Tuch besitze ich übrigens heute noch. Es ist zerschlissen und nicht brauchbar, aber einmal im Jahr beim Schubladen ausmisten, denke ich an meine Omma und die Sache mit den Haaren. 
Das war noch Qualität!
Für die ganze Aktion bekam ich übrigens jede Woche 5 DM und besserte so mein Taschengeld auf. Zweimal Haare eindrehen = eine Reitstunde. So meine damalige Rechnung. Während ich also den Heiermann verstaute, Spiegel und restliche Utensilien wieder wegräumte, wuselte meine Omma schon in der Küche, denn wie gesagt, Punkt zwölf, Mittag! 

 

Samstags gab’s Eintopf. Immer! Schnibbelbohneneintopf, Linsensuppe, Graupensuppe. Und Brötchen. Meine Mutter stand Punkt zwölf auf der Matte und damit war das Kochen für den Samstag schon mal erledigt. Meine Omma lies es sich nicht nehmen, uns alle zu bedienen. Gegessen wurde natürlich in der Küche. Ich könnte jetzt sagen, dass meine Omma das Verhör ausweitete, aber … na ja, wir ließen die Woche Revue passieren. 

 

Und bei einem dieser Gespräche strich sich mein Oppa nachdenklich über seinen Schädel. „Hömma, wenn Du der Omma immer so schön die Haare machst, willste mir die nicht auch mal schneiden. Kriechste auch von mir fünf Mark dafür“, schlug er mir vor. 

 

Sofort blitzte ein Bild von meinem inneren Auge auf. Ich sah mich schon mit wehenden Haaren auf Blacky über die weite Prärie des Sauerlandes galoppieren! „Klar, kann ich machen, Oppa.“ Und so war das geritzt, nächsten Samstag also Doppelstunde Friseur.

 

Fortsetzung folgt

Foto Lockenwickler: ©jackmac34/pixabay                

Restliche Fotos und Text: ©Andrea Steffen

 

 

3 Antworten auf „Verhör mit Lockenwicklern“

  1. Wunderbar. Liest sich wieder so, als wäre ich dabei gewesen. Ich wusste gar nicht, dass Annemarie Renger deine Oma war. :-)))

    Meine Omma wohnte nicht in unserem Ort, sonst hätte ich mir vielleicht auch so das Taschengeld aufgebessert. Meine Tante drehte ihrer Mutter die Haare auf und manchmal (4 x im Jahr) ging sie zum Friseur. Wenn Sie bei uns zu Besuch war, knallte sie sich jeden Morgen eine halbe Flasche Elnett ins Haar. Weil das furchtbar stank, versteckten mein Bruder und ich uns unter der Bettdecke.
    Aber solchen Verhören wie denen deiner Omma musste ich mich nicht unterziehen lassen.

    Jott sei Dank!

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