Zum Sterben schön – der Melatenfriedhof

Ich gehe gerne auf Friedhöfe.

Ich habe schon komische Blicke geerntet, wenn ich erzähle, dass ich Besuche auf Friedhöfen regelrecht in meinen Alltag einplane.

Ich bin damit aufgewachsen, auf Friedhöfe zu gehen. Uroma Mickeymouse (ich habe sie wirklich so genannt) lag in Rösrath neben ihrem Mann. Hin und wieder fuhren wir hin. Grabpflege. Ich mit. War eben so. War völlig normal. Später habe ich das selbst fortgeführt beim Grab meiner Großeltern in Lüdenscheid und heute noch bei meinem Vater.

Friedhöfe sind wunderbare Orte. Friedvoll, ruhig, kühl. Oft mit einem sehenswerten alten Baumbestand. Meist trifft man nur wenig Menschen. Und wenn, dann sind sie mit Grabpflege oder sich selbst beschäftigt.

Immer findet sich eine Bank zum Ausruhen, zum Nachdenken, zum Runterkommen. Zum Beispiel fällt einem ein Gedicht von Hermann Hesse ganz plötzlich wieder ein:

Und die Seele unbewacht
Will in freien Flügen schweben
Um im Zauberkreis der Nacht
Tief und tausendfach zu leben

Sowas passiert am ehesten bei den ganz besonderen Friedhöfen, z. B. dem Melatenfriedhof in Köln-Ehrenfeldt. Melaten leitet sich übrigens aus dem französischen „malade“ ab, also krank sein. Logischerweise fragt man sich, wer der hier Liegenden krank war, wer eines natürlichen Todes gestorben ist, wer vielleicht sogar erschossen, ermordet, hingerichtet wurde.

Ist es also die Lust am Morbiden, der mich zu Friedhöfen hinzieht? Das Gegenteil ist der Fall. Die Gräber zeugen von Leben. Von langen Leben, von kurzen. Sie zeugen von Liebe. „Auf ewig verbunden, immer in unseren Herzen“ liest man als Inschrift. Sie zeugen vom Glaube. „Der Herr gab’s, der Herr nahm’s“ ist hier zu lesen.

Der Melatenfriedhof ist alt. 1810 wurde er durch den Dompfarrer Michael Joseph Dumont eingeweiht. Einige Gräber sind aber weitaus älter. Die älteste Grabinschrift, das ich gesehen habe, war von 1670.

Aber was heißt schon Grabstätte? Oft sind es monumentale Denkmäler, die die Hinterbliebenen ihren Verstorbenen gesetzt haben. Mausoleen aus Marmor, mit Engeln und Ehrenkränzen verziert. Viele mit einem kleinen Schild versehen, dass sie professionell gepflegt werden. Hier ruhen ganze Dynastien und auch etliche Prominente. Die Milowitschs. Das Grab habe ich gefunden.

Auch das von Dirk Bach. Daneben eine rosarote Bank für die Ensemblemitglieder des Springmaus-Theaters.

Die Gräber von Westerwelle, Konsalik oder Freya von Moltke dagegen nicht.

Das war aber auch nicht meine Absicht. Mich interessiert eher, was ein Grab über den Verstorbenen aussagt. Welches Leben hat er gelebt? Ich stelle mir vor, wie er gelebt hat, von wem er geliebt wurde. Eine Frau hat ihren Mann um 35 Jahre überlebt, lese ich aus einem heraus. War er die Liebe ihres Lebens? Hat sie wieder jemand anderen gefunden und nur hier ihre letzte Ruhe neben ihrem ersten Ehemann gefunden?

Auf dem Friedhof rettungslos romantisch! Wäre ein schöner Buchtitel, oder?

Manche Grabstätten sind riesig. Die Grabsteine zeugen von einer langen Familiengeschichte. Wilhelm und Helene (1850), Hans und Maria (1920), Gisela und Klaus (1940)… Die zuletzt verstorbenen Mitglieder oft mit einem einfachen, hellen Kreuz gekennzeichnet auf einem noch sichtbaren Hügel.

Dann gibt es auch kleine einzelne Gräber, auf deren Grabsteinen kleine Kiesel liegen oder Blumen.

Ein Klappstuhl aus Kunststoff hinter einem Grabstein. Hier sitzt wohl häufig jemand am Grab, hält vielleicht Zwiesprache mit Gott oder den Verstorbenen, den Engeln, mit allen gleichzeitig. Hadert mit seinem Schicksal, will bald folgen oder aber erzählt wieviel Freude die Enkel bereiten und die kleine zugelaufene Katze, um die man sich kümmern muss.

Es sind die Kleinigkeiten, die mich rühren. Ein sichtlich von Kinderhand bemalter Stein. Mach’s gut, Opa. Auch die sehr sorgfältig gepflegten Gräber ohne Werbeschildchen vom Gärtner. Hier hockt regelmäßig jemand, jätet, zupft, pflanzt, harkt, gießt. Hat jemand hier etwas gutzumachen? Ist es Pflicht, weil man das einfach so macht? Oder Hingabe?

Manche Grabsteine sind vom Efeu überwuchert. Die Natur erobert sich Terrain zurück, egal wie viele Gärtner hier gleichzeitig auf ihren Elektrowägelchen herumsausen und harken und jäten.

An einer Ecke grüßt Gevatter Tod und direkt darunter ein relaxter Frosch auf einem steinernen Herzen. Mehr Leben geht eigentlich nicht.

Es ist angenehm kühl hier, ein cooler Ausflugstipp für heiße Tage. Bestimmt wurden hier schon schaurige Filme gedreht. Ich stelle mir vor, wie Nebel zwischen den Baumreihen aufzieht, sich verdichtet, das Licht schwindet, die Vögel verstummen, sich eine Grabplatte mit einem fürchterlich, schabenden Geräusche hebt, Zombiefinger darunter hervorlugen, ein Ächzen und Stöhnen aus der Tiefe hallt und habe Thriller im Ohr.

Uuuuahhhhh…

Wird wohl doch Zeit, dass ich wieder unter Menschen komme. Aber vorher lass ich euch noch ein paar Fotos hier.

Denkmal gesetzt
Verwittert
Haupttrasse
Dynastien ruhen hier
Uralt
Urnengräber
Vom Efeu überwuchtert
Moos
Liebesgruß
Kaum mehr zu sehen
Riesig
Rost
Wer die wohl hiergelassen hat?
Schattig
Mausoleum
Friedhofslicht
Schön
Unkraut
Vogeltränke
Ruhegarten
Andachtsplätzchen
Letzter Gruß

Text und Fotos ©Andrea Steffen

2 Antworten auf „Zum Sterben schön – der Melatenfriedhof“

  1. Sehr schöne Bilder.
    Ich mag Friedhöfe auch sehr.
    Warum ich den Melatenfriedhof noch nie besucht habe, ist mir ein Rätsel.
    Nach diesem Text muss ich unbedingt hin.

    1. Liebe Britta,

      danke fürs positive Feedback. Den Besuch kann ich wirklich wärmstens empfehlen. Ich glaube, dass es an einem heißen Sommertag dort besonders schön ist, wenn man der Hitze entfliehen kann. Wir waren an einem eher kühlen, regnerischen Tag da. Aber das sieht man auf den Fotos wohl nicht so richtig.

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