Ein Streifzug durch Brüssel 

 

Hotel gebucht, getankt, zwei Stunden Fahrt und schon ist man da. Brüssel ist praktisch um die Ecke. Umso erstaunlicher, dass wir diesem Mekka europäischer Parlamentarier bisher noch keinen Besuch abgestattet haben. 

Regen beim Manneken Pis
Der erste Eindruck: ruhig. Aber das täuscht, denn es ist Sonntag. Der zweite: laut und turbulent. Auch das täuscht, denn erstens ist nicht immer Summer Festival und zweitens gibt es abseits vom trubeligen Zentrum kleine feine und stille Fleckchen. Die sollten wir aber erst später entdecken. Der dritte: nass. Auch das stimmt nicht vollends, denn zwischendurch kam immer wieder die Sonne raus.

Erste Amtshandlung nach dem Einchecken ist natürlich eine Portion Fritten auf die Hand.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf dem Weg vom Hotel Richtung Innenstadt passieren wir direkt den Justizpalast. Da schauen wir doch mal eben rein. Von außen eingerüstet und von innen ein imposantes Gebäude riesigen Ausmaßes. Alleine die Eingangshalle misst 3.600 m². Die links und rechts in Nischen an dunklen, glänzenden Holztischen sitzenden Advokaten gehen gemächlich ihrer Beratertätigkeit nach. Die Sonne blinkt durch die hohen Fenster und taucht den gigantischen Raum in sanftes Licht, zaubert Schattenspiele zwischen römische Säulen und babylonische Versatzstücken. Man könnte verweilen, würde da draußen nicht die Sonne runter zu den Marollen locken. 

Palace de la Justice

Die Marollen sind ein typisches Arbeiterviertel, geprägt von Backsteinbauten, hinter denen sich in Einfahrten und Eingängen oft wunderbare Einkaufsmöglichkeiten ergeben. Ich finde in Antiquariaten glitzernde Lüster oder formschöne Mamorbüsten, die man ideal in unserem Garten platzieren könnte. Sie wiegen geschätzt auch nur eine Tonne. Der Gatte frohlockt.

 

Das lässt jedes Flohmarktherz höher schlagen

Vorbei geht es an der Kapellenkirche mit ihrem barocken Schieferdach. Pieter Brügel, wichtigster Niederländischer Maler fand hier seine letzte Ruhestätte. Apropos Niederlande. Brüssel ist dreisprachig: Französisch als Amtssprache, Niederländisch hört man wo man geht und steht und das Flämische ist ja eher sowas wie ein Akzent des Niederländischen. Sagt jedenfalls Robert von Sandeman Freetours, den wir am Grote Markt – oder auch Grand-Place – treffen und der uns in einer fast 3-stündigen Tour einen sehr persönlichen Blick auf seine Wahlheimat vermittelt.

Allein am rechteckigen Grote Markt könnte man Stunden verweilen, säumen ihn doch nicht nur barocke Zunfthäuser an drei Seiten sondern auch das gotische Rathaus. 

 

Links das Stadtmuseum, rechts daneben die Fassade mehrerer Zunfthäuser

 

Der Blick schweift vom goldblitzenden Erzengel Michael an der Spitze des Turms, über filigranen Zierrat auf die Gegenseite zum Brüsseler Stadtmuseum mit typischer Renaissancearchitektur. Der Mensch dreht sich im Kreise und hat schnell eine Nackenstarre. Also besser noch eine weitere typische Sehenswürdigkeit abgehakt: Das Manneken Pis (jawohl, nicht Männeken, sondern Manneken).
Die 39 cm hohe Bronzestatue ist nicht der Rede wert. Trotzdem scharren sich die Touristen um einen dieser wenigen letzten originären Stadtbrunnen, während sie dabei eine der typische Brüsseler Waffeln vertilgen.  
Ein Stückchen weiter begegnen uns zwei junge Männer Arm in Arm, wie sie in waghalsiger Perspektive über eben das Gebäude schlendern, auf dem sie verewigt wurden. Comics genießen in Belgien ein hohes Ansehen, sind Anlass für Festivals und Vortragsreihen und überraschen in Brüssel den Besucher überwiegend im Westen der Stadt. 
Zeit für eine kleine Pause, am besten in einer der zahlreichen Brasserien am Straßenrand oder bei einem Patissier. Café mit einem kleinen petit four oder aber eine Tartine (Stulle) und ein leckeres Bier? Und da fängt die Qual der Wahl erst richtig an. Wie wäre es mit einem Lambic, das nur noch in wenigen Estaminets (Kneipen) ausgeschenkt wird? Oder ein Geuze? Lieber ein fruchtig-süß-saures Kriek? Wir entscheiden uns für ein Chimay. 
Die Vielzahl bringt mich so durcheinander, dass ich auf Französisch bestelle, auf Spanisch korrigiere und mich auf Englisch anschließend entschuldige. Jedes Bier wird stilecht in einem anderen Glas serviert. Die durstige Kehle lechzt nach Erleichterung und der nicht mehr ganz kühle Kopf spürt recht schnell die acht Umdrehungen. Pas mal! 
Voll lecker!
Bier-Tempel
Entsprechend gestärkt, nimmt man die in den Galéries Royal St-Hubert ausgestellten Luxusgüter mit der notwendigen Nonchalence. Vor Wind und Regen geschützt stolziert der staunende Tourist durch die Edelshoppingmeile, beäugt in den hochglanzpolierten Schaufensterauslagen ungeheuer teuren Schnickschnack und tastet sicherheitshalber die eigene Börse in der Hosentasche ab.
Trockenen Fußes flanieren

Ein Schlenker lohnt in die Galéries des Princes mit ihrer ausnehmend schönen alten Buchhandlung „Tropisme.“ Hier lässt es sich in prachtvollem Ambiente in teuren Bänden blättern. 

Köstliches beim Patissier … mmh!
Aber genug des Rummels. Bewusst wenden wir uns vom Zentrum ab Richtung Sablon, auch heute noch eines der begehrtesten und teuersten Wohnviertel Brüssels. Das gotische Schmuckstück „Notre Dame du Sablon“ überstrahlt nach einer aufwändigen Restaurierung den Grand Sablon. Unweit locken zwei der besten Chocolatiers „Wittamer“ und „Marcolini“ mit Pralinen und Schokolade der Luxusklasse. Ausnahmsweise lassen wir diese aber links liegen und steuern den Park gegenüber an, den Petit Sablon.

 

Idyllische Oase mit Blick auf die Notre Dame du Sablon

In dieser kleinen grünen Oase mit bequemen Bänken und gepflegten Blumenrabatten kann man in aller Ruhe die neuesten Eindrücke verarbeiten und am Ende über die Gestaltung des Abends entscheiden. 

 

Einladend!
Der nächste Tag bringt uns raus an den Rand der Stadt zum Atomium, das Wahrzeichen Brüssels schlechthin. Brüssel ohne Atomium geht gar nicht, unkt Dumont und soll Recht behalten.
Aug in Aug mit dem Atom
Ursprünglich im Jahr 1958 für die erste Weltausstellung nach dem zweiten Weltkrieg erbaut und in den 80iger restauriert, blinken neun silbrig glänzende 102 Meter hohe Kugeln ein kurioses Willkommen. Mit 5 m pro Sekunde beamt der Aufzug den Besucher in die höchste der neun Kugeln, von denen fünf begehbar sind und außer in einer umfangreichen Ausstellung über das 165-Millionenfach vergrößerte Molekül eines Eisenkristalls auch eine interessante Lichtshow mit dem spannenden Titel „Out of Control“ enthält. 
Out of Control – nichts für schwache Nerven
Die rund um das Atomium mittlerweile angesiedelten Touristenhighlights wie Brupark und Mini-Europe sparen wir uns und flanieren lieber durch den Park van Laken, wobei uns freilich der Eintritt in die königlichen Gewächshäuser verwehrt bleibt. Die öffnen nur einmal jährlich im Mai/Juni ihre Pforten für Besucher. 
Nicht weniger interessant ist aber das im Süden der Stadt liegende und von den Brüsselern heiß begehrte Wohnviertel Ixelle mit seinen versteckten Gärten, ausgefallenen Läden und angesagten Restaurants.
Typische Jugendstilfassade

Hier finden vor allem Liebhaber der Jugendstilarchitektur zahlreiche Beispiele eigenwilliger Fassaden, floraler Formen von Glas- und Eisenbauten und dem typischen Art Déco Spiel zwischen Symmetrie und Asymmetrie.

So viel Schönheit und Eleganz lassen wir in einem zum Restaurant umgebauten historischen Eisenwarenladen mit köstlichen Miesmuscheln und anderen Meeresfrüchten sacken. 

La Quinquaillerie, 45 rue du Page, Ixelles

Was fehlt noch nach so vielen Gebäuden, so viel Flanieren, so viel leckerem Essen? Ein wenig Kultur! Eine ganze Handvoll hochrangiger Museen wartet am sog. Kunstberg auf Kulturwillige. 

Wir entscheiden uns am nächsten Morgen für das Musée Magritte, das Werdegang und Schaffen der belgischen Ikone des Surrealismus schlechthin aufzeigt. Rätselhafte und paradoxe Bilder zeugen davon, wie Magritte mit sich selbst und seiner Welt haderte, wobei er ersteres nie zugegeben hat. 
Von hier geht es zu drei verschiedenen Museen
Am Ende erstehe ich im Museums Shop doch ein Buch über Art Déco und freue mich über den herrlichen Blick über Brüssel, den man vom Kunstberg aus gratis genießen kann.  
Fazit: Brüssel ist von allem etwas, hat von allem etwas. Es gibt zwar eine Tram, also Straßenbahn, eine Métro, Busse und ähnlich wie in Paris die sog. Villos – am Straßenrand ausleihbare Fahrräder – aber abgesehen vom Europaviertel, dem Atomium oder Laken von Königs lässt sich alles wunderbar zu Fuß erkunden.
Im Grunde ist Brüssel ohne Stadtplan erlaufbar. Irgendwann kommt man ganz einfach an jeder größeren Sehenswürdigkeit automatisch vorbei. Hotels oder andere Unterkünfte sind auch im urbanen Umfeld bezahlbar. 
Wer gerne gut isst, ist hier bestens aufgehoben.
Restaurants und Brasserien gibt es an jeder Straßenecke, nur im Zentrum muss man sich ein bisschen vor Touristennepp hüten. Für die daheimgebliebenen Haus- und Katzensitter eignen sich Bier, Pralinen oder ein Schnäppchen vom Flohmarkt der Marollen als Mitbringsel.
Es reichen locker zwei Übernachtungen, um sich einen guten Überblick zu verschaffen und sogar ein wenig ins Brüsseler Tag- und Nachtleben einzutauchen. 
Infos:
Brüssel – DUMONT – ISBN 9 783770 194329 – 9,99 Euro
Sandeman Free Tours – http://www.newbrusselstours.com/
Text und Fotos: ©Andrea Steffen
Köstliche Andenken für Zuhause!