100-Jähriger auf dem Marktplatz von Villasimius |
Ich gehöre noch zu der Spezies, die aus dem Urlaub neben WhatsApp-Nachrichten auch Postkarten verschicken. Und das kann kommunikativer sein, als man es sich gemeinhin vorstellt.
Die fünf Postkarten waren gekauft. Die Frage nach den Briefmarken war meinem Gesicht wohl abzulesen. „La tabbacceria“. Jau, das hatte ich kapiert und ich wusste sogar, wo der Tabakladen sich befand. Bei einem so kleinen Ort wie Villasimius mit 3.645 Einwohnern ist das auch keine wirklich intellektuelle Leistung.
Gehört, getan. Den beiden Damen hinterm Verkaufstresen hielt ich die 5 Postkarten entgegen. 85 ct je Briefmarke. Aha, aber … eine musste nach Norwegen und ich erklärte, indem ich mit den Armen eine große Rundung formte und anschließend den erhobenen Zeigefinger bedauernd vor meiner Brust wedelte, dass Norwegen nicht zur Europäischen Union gehöre: „Norway no Unione Europea.“ Das war gestottert, grammatikalisch völlig daneben, wurde aber verstanden.
Die ältere der beiden Damen, etwas vierschrötig und mit dem Kinn gerade so über die Theke schauend, kapierte sofort. „Un momento.“ Sie wuchtete ein ca. 2.000 Seiten dickes Pamphlet aufs glattgeschliffenen Holz und fing an zu blättern. Die jüngere, lang und dünn holte dagegen ihr Handy aus der Hosentasche und bearbeitete es eifrig mit den Fingerspitzen.
Mittagsruhe auf der Piazza |
Derweil bildete sich hinter mir eine Schlange. Einer wagte es aufzumucken und wurde mit ein paar harschen Äußerungen und einem „Subito“ in seine Schranken verwiesen. Das nahmen aber die Wartenden nicht krumm, sondern ergriffen schnurstracks die Gelegenheit sich kurzerhand um mich gruppieren. Es sah aus, als hätte von der Ladentüre aus jemand eine Billardkugel in die kleine Menschenmenge gestoßen.
Der erste nahm mir mal gleich die Postkarten aus der Hand, begutachtete sie und erklärte – vermutlich – welcher Strand wirklich schön und sehenswert war und welcher nur touristischer Anlaufpunkt. Ein weiterer hielt mir sein Handy unter die Nase und ich machte Bekanntschaft mit seinem soeben geborenen Enkel in allen möglichen Lebenslagen. Ich beglückwünschte den frisch gebackenen Großvater und würdigte das Ereignis entsprechend.
Auch das gibt’s im Tabakladen |
Ein jüngerer Mann löste sich aus der Gruppe und wollten La Mama hinter der Theke behilflich sein. Er flog geradezu aus dem Aktionsradius der nach wie vor wild Blätternden und gesellte sich in etwas geduckter Haltung zu mir und den beiden anderen aus der Schlange. Die drei hatten die Idee, man könne doch Fotos schießen mit dem Handy des Opas.
Unterbrochen wurden wir aber von den lautstarken Diskussionen der beiden Ladies hinterm Tresen. Ich würde jetzt nicht sagen, dass sie sich anschrieen, aber hitzig war die Debatte schon. Ein älterer Herr aus den hinteren Reihen kam zu Beschwichtigungszwecken nach vorn. Er kann froh sein, dass ihm das postalische Handbuch nicht über den kahlen Schädel gezogen wurde.
Mama mia! Und ich war der Auslöser für das Gezicker da in einem Meter Entfernung. Sollte ich den Rückzug antreten? Kam nicht in Frage. Und zwar deshalb weil mittlerweile eine fünfte Person den Laden mit einem kräftigen Räuspern betreten hatte. Ich vermute, es war die Mama der Mama! Alles drehte sich wie an Fäden gezogen zu ihr um.
Mama della Mama stemmte die Arme in die ausladenden Hüften, ließ den Damenbart zittern, strich sich den eh extrem straff sitzenden Haarknoten glatt und intonierte mit einem Bass, der viele Männer mit Neid hätte erblassen lassen: „Finito, basta, Norvegia no esta America.“
Und damit hatte es sich. Norwegen ist nicht Amerika! Auf die Postkarte kam eine 85 ct-Briefmarke und was soll ich sagen? La Nonna hatte recht. Die Karte ist angekommen!
Text und Fotos: ©Andrea Steffen