Ich kann nix dafür. Ehrlich! Ich kann einfach nichts dafür. Meine Mutter ist schuld. Oder mein Vater. Nee, beide!
Als ich morgens im Büro ankomme, fängt es an. Es schneit in dicken watteweichen Flocken wie bekloppt vom Himmel. Ich drücke mir die Nase an der Fensterscheibe platt.
Ich will raus!!!
Aber das geht nicht. Ich habe sowohl eine Azubine als auch eine Praktikantin heute an meiner Seite plus ein Meeting um zehn bis vielleicht halb zwölf und außerdem wäre es absolut passend heute mal was Schlaues zum Thema „Wasserleitungen und Wasserzähler vor Frost schützen“ an die Presse zu geben.
Ich ziehe in Erwägung, Azubine und Praktikantin zu verklickern, dass wirklich gekonntes Schneeschippen vor dem Kundenzentrum unter Guerilla-Marketing fällt und unsere Kunden sicherlich total beeindruckt wären. Okay, lassen wir das ….
Während des Meetings rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Mein Blick geht immer wieder zum Fenster. Mit der Pressemitteilung stürme ich kurzerhand das Chef- und ChefChef-Büro und dann … thank god it’s Friday … nichts wie raus!
Mit Elan schwinge ich den Handfeger, um mein Auto freizulegen, werfe neckisch zwei Schneebälle auf einen Kollegen, der mir einen Vogel zeigt und zwei weitere Schneebälle einfach so durch die Gegend, was den ein oder anderen Fußgänger irritiert. Und dann starte ich durch. Autofahren macht doch erst so richtig Spaß, wenn es den anderen keinen mehr macht. Wenn man die Reifen so ein wenig durchdrehen lässt (Handbremse anziehen!), kann man prima ein bisschen Schnee, also ein bisschen viel Schnee, nach hinten schleudern. Ich gucke in den Rückspiegel und nicke zufrieden. Schöne kleine Schneewehe fabriziert.
Kreisverkehre sind im Winter doppelt interessant. Finde ich zumindest. Warum hupen die anderen eigentlich? Alles Flachlandtiroler ohne Winterreifen. Genau. Die teste ich erstmal richtig aus auf dem Feldweg. Auf die Bremse, fertig, stehen! Aber sowas von! Da vorne: eine Schneewehe! Klasse. In die fahre ich rein und mit Rückwärtsgang, 1. Gang, Rückwärtsgang schaukel ich mich wieder raus. Klappt also immer noch.
So, genug zu dem Thema. Jetzt ein wenig frische Luft. Straße und Einfahrt zuhause sind eingeschneit. Mein Nachbar hat schon ein bisschen vorgearbeitet. Also flott Wollsocken, Wanderschuhe, Mütze und Handschuhe und dann geht es an den Start.
Ich schaufel, was das Zeug hält. Der Berg im Vorbeet wächst. Ich schmeiße mit Schnee um mich. Mein Rücken ächzt. Ruhe da hinten! Es flockt von oben weiter und weiter. Mir egal, ich schiebe und schufte und schippe und schaufel. Mein Kater hockt plötzlich mit einem weißen Häubchen auf dem Kopf vor mir und beschwert sich lautstark über dieses Wetter. Du Weichei, Du! Ich lache ihn aus. Er setzt sich beleidigt vor die Haustür des Nachbarn. „Hier wohnen die netten Menschen, die mich verstehen“, soll das heißen.
Er wird jetzt wieder zwei Tage nicht mit mir reden, aber mir egal. Ich schaufel mich regelrecht in einen Rausch. Mein Nachbar kommt raus und fängt ebenfalls an. Ich kann mich gerade noch bremsen, ihn nicht auch mit Schneebällen zu bombardieren. Statt dessen strahle ich ihn an: „Ist das ein herrliches Wetterchen heute?“Gleich fragt er mich, ob ich einen Arzt brauche. Aber ich kann nicht anders. Diese ganze weiße Pracht macht mich total wuschig.
Ich lege eine Kaffeepause ein. Ein weiß beflockter Braunbär von UPS klingelt und bringt ein Päckchen. Ich schenke ihm meine Unterschrift, zwei Spekulatius, einen Dominostein und ein „Ach, ich liebe die Winterzeit!“. Er brummt.
Das Handy fiept. Eine Freundin sagt unser Treffen in Düsseldorf ab. Das ist eine weise Entscheidung angesichts der Verkehrssituation. Ich müsste todtraurig sein, bin ich auch. Oder doch nicht so ganz, denn ich darf ja gleich wieder schaufeln, denn es schneit und schneit und schneit! Ich suche schnell nach den Meisenknödeln und hänge sie im Garten auf. Und dann geh ich wieder Schnee schippen.
Ich weiß, das ist nicht nachzuvollziehen, aber wie gesagt, ich kann einfach nichts dafür. Das ist mein Sauerland-Gen und da macht man nix.
Text & Fotos: Andrea Steffen