Von Schwarzhaarigen, Wigald Boning und dem Glück von Second Hand-Büchern

Es tut mir leid. Ehrlich. Es sollte first hand sein, ganz bestimmt. Ein Geschenk.

Bestellt beim Buchhandel meines Vertrauens und abgeholt bei der Schwarzhaarigen, die nicht empfiehlt, sondern oft beim Aushändigen der Bücher und einem Blick auf die Titel die Augenbrauen ein wenig nach oben zieht. Ich glaube, sie ist aus Hannover. Anders kann ich mir ihr nonchalentes Verhalten nicht erklären. Der Rheinländer würden sagen: Drüsch! 

 

Wie auch immer, dieses Mal hieß das Buch „Butter, Brot und Läusespray“ – ein vielsprechender Titel. Da ich nun mal keine Rothaarige habe, die empfiehlt, empfahl sich der Autor selbst an einem Freitagabend im Kölner Treff der Böttinger.  

 

Wigald Boning ist ziemlich durchgeknallt, allerdings von reichlich Grips beseelt und mit einer äußerst eloquenten Sprache gesegnet. Der Mann sieht aus wie ein unbescholtener Studienrat mit einem Extremhang zu Kleiderkammern aus den 70iger, aber er hat es faustdick hinter den Ohren. 

 

Fundstück vor dem REWE

Seit 1999 sammelt er Einkaufszettel. Was heißt sammelt? Wer durchwühlt dafür Supermarktmülleimer, klettert in Parkplatzrabatten herum und nervt Anverwandte und Freunde mit seiner Leidenschaft. Daraus entstanden ist ein überaus wortwitziges und schlaues Buch, das die tiefsten Tiefen und höchsten Höhen menschlicher Begierden, Bedürfnisse und Banalitäten anhand von Einkaufszetteln analysiert. 

 

Gummis, Fleischwurst, Toilettenpapier, Rhabarber-Kuchen
Ich beginne plötzlich die inner- und außerhäusig verfassten Einkaufszettel mit anderen Augen zu sehen, assoziiere sofort damit einen Verfasser, reiße gar im Bioladen einen Zettel an mich, in den ein Kleinkind sein Bio-Bäh-Bonbon wickeln wollte und merke: „Verdammt, ich bin auf Droge.“ Der Wigald hat mich angefixt.
Den Filialleiter vom Netto um die Ecke verdinge ich zum Drogendealer, grabsche aus allen Einkaufskörben, was ich kriegen kann und überrede Supermarktbesucher mit dem Satz „Ich brauche Drogen von Wigald“ mir ihre handgeschriebenen Listen auszuhändigen. Manchmal überlassen sie mir gar ihren ganzen Einkaufswagen samt Chip oder Euro, raffen ihre Einkäufe zusammen und fliehen, vor allem, wenn ich beim nächsten Besuch wieder an der Kasse stehe und auf sie lauere. Die Kassierer habe ich übrigens allesamt bestochen, mit Geld, guten Worten und Giotto. 

 

Tatsache: Blödsinn kann glücklich machen. Ergo: Ich bin ein zutiefst glücklicher Mensch. 

 

Aber das wollte ich gar nicht schreiben, sondern mich bei dem Menschen entschuldigen, für den das Buch bestimmt war. Echt jetzt, ich wollte es nur anlesen, ein kleines bisschen schmökern, hier und da mal reinlinsen, ehe ich es verpacke und auf den Weg schicke. 

 

Aber jetzt ist es anders gekommen – wie so vieles im Leben. Ich hoffe, er mag es trotzdem noch, auch wenn es schon durch meine Hände, Hirn und Herz gegangen ist.
 

 

Titel: Butter, Brot und Läusespray
Autor: Wigald Boning
Verlag: rororo im März 2013
ISBN: 978-3-499-63013-2 

 

Text und Fotos: ©Andrea Steffen
Foto 1: Buchcover
Der strategische Klassiker

Wäscheleinenzettelwirtschaft

 

Es gibt Lebensphasen, in denen man die Dinge laufen lassen muss. Da hat man keinen Einfluss. Man muss warten. Und darin bin ich schon besser als früher, aber trotzdem nicht besonders gut, im Warten und im Zusehen, was passiert. Das schreit bei mir nach Kompensation. Wenigstens das ein oder andere will ich dann ordnen, kontrollieren; Bereiche übersichtlich, planbar machen. Also räume ich auf, miste aus und was dann dabei oft zutage kommt, versüßt mir die Warterei. Das sind alte Fotos, abgerissene Eintrittskarten, ein lange schon eingelöster Gutschein, eine Sonnenbrille von dazumal, die schon wieder modern ist. In einer Schublade fand ich einen Haufen bunter, quadratischer Blätter, handbeschrieben. 

 

Unser alljährliches Nachbarschaftsfest stand an und diese Zettelwirtschaft hing seinerzeit an einer langen Wäscheleine, gespannt zwischen zwei Straßenlaternen. Jeder, der was zu sagen hatte, konnte sich hier verewigen. 

 

„Auf die inneren Werte kommt es an. Blutdruck! Cholesterinspiegel!“ ist da zu lesen.

Auf einem pinken Zettel steht „Anleitung für eine Quarzuhr: Wenn alles richtig eingeseselli isluruchum Sie S2 bis Slunen und Miramun mii blindernellen Cappalunki arschetuen.“ Da ist noch ein rosa Quadrat mit folgendem Satz „Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen! Das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen.“ Darunter ein Krakkel-Smiley, Herzchen und vom Sekt arg verkorkste Blümchen. Kommt mir bekannt vor ;-)). 

Die rosa Papierchen waren wohl am beliebtesten. Auf einem anderen steht „Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso.“ Stimmt genau! Haribo darf auf Nachbarschaftstreffen nie fehlen. Auf einem grünen Zettel lese ich „Mein wahrscheinlich letztes Straßenfest mit Euch, denn nächsten Sommer werde ich woanders wohnen.“  

 

Ich selbst habe u.a. geschrieben: „Wir wünschen uns, dass das nächste Straßenfest von jemand anderem organisiert wird. Ganz lieben Gruß M. & A.“ Was soll ich sagen? Nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung. Die Jugendlichen haben überwiegend Sprüche geklopft wie „1. Du liest. 2. Das Blatt ist lila. 4. Du hast nicht bemerkt, dass 3. fehlt. 5. Du bist ein Idiot.“ 

 

Zu fortgeschrittener Stunde kam dann auch Philosophisches dazu, allerdings aufgrund des ebenso fortgeschrittenen Alkoholkonsums in mitunter unorthodoxer Grammatik. „Nur wer begriffen hat, dass lieben wichtiger ist, als geliebt werden ergibt sich das Geliebtsein ganz von selbst.“ Der Wille zählt und die Aussage ist schön! 

 

„Für die Menschen ist wichtig, was sie mit den Augen wahrnehmen; ich aber schaue jedem Menschen ins Herz.“ Liest sich wie ein Psalm und ich könnte mir vorstellen, wer das geschrieben hat. 

 

Ich blättere die bunten Bögen durch, versuche den ein oder anderen Spruch einer Person zuzuordnen und lächle bei dem Gedanken an das Straßenfest. Das war 2009.  

 

Was aber mache ich jetzt mit diesen Andenken? Ich wollte ausmisten, also auch wegwerfen. Aber die Idee war so schön und meine Erinnerungen auch.  

 

Ich mach’s anders. Ich schreibe was drüber, denn das ist auch eine Art Dinge zu behalten, im Kopf und im Herzen. 

 

@Andrea Steffen