Herr Sträter macht frei

 

Tach Herr Sträter!

Wir machen das jetzt mal so wie im Supermarkt. „Hallo Herr Sträter, kannste mal Kasse bitte?“ Das kennste, ne! Also diese Kombination von Sie und Du in einem Satz. Geil, oder? Da ich an Supermarktkassen praktisch aufgewachsen bin, weil man da unbehelligt an die kleinen Päckchen Maoams drankam die für die Enkel gedacht waren, wenn man einer Omma geholfen hat die Kirschmarmelade und das Toastbrot einzupacken, hab‘ ich das drauf. Ist ja auch so, dass ich die ältere von uns beiden bin. Alleine deswegen das Duzen.
Was ich aber eigentlich sagen will. Du bist ganz schön bekloppt, Herr Sträter.
Ich meine, das mit der bipolaren Zwerchfellentzündung aufgrund überanstrengter Lachmuskeln am Tag nach Deinem Auftritt in der formschönen Allzweckhalle von Willich, das will ich Dir mal nicht ankreiden. Aber das mit dem Buch jetzt ist ein Tacken zu viel.
Da schenkt mir unsere Tochter zum Muttertag also Dein Buch, das neueste. Und gekauft hat sie es im Buchladen, in einem richtigen Buchladen. Richtig im Sinne von mit einem Buchhändler namens Kalle Wirsch und röchelnder Kaffeemaschine und furzendem Labrador-Pudel mit Breitcordwämschen neben dem Drehständer mit Motivkalendern. Das hat sie gut gemacht. Ist gut erzogen, das Kind. Ganz die Mama. Sie hat das Wichtigste mitgekriegt im Laufe der letzten – na sagen wir mal – 20 Jahre. Zum Beispiel kloppt sie nicht wehrlosen Zirkusponys aufs Hinterteil, die dann Rolltreppen stürmen, infolgedessen die Wie-bescheuert-muss-man-sein-sich-bei-uns-zu-versichern GmbH & Co. KG Insolvenz anmeldet. Das macht sie eher beherzt bei bemützten Vorlesern, wenn die ihr die Ohren wund quasseln. Ist im Grunde sowas wie begeistertes Schenkelklopfen, nur andersherum. 

Und so kauft sie für ihre Mutter an Muttertag, also nicht an Muttertag direkt, denn da sind die Läden ja zu, wenn es nicht gerade einer dieser vollkommen unnötigen und vermaledeiten verkaufsoffenen Sonntage ist, an denen jeder bloß guckt und eh nix kauft und Mütter deshalb an Supermarktkassen sitzen müssen, obwohl sie lieber von ihren Kinder zum Muttertag richtig gute Bücher geschenkt bekommen würden. Und Eistorte mit Stracciatella-Streuseln oben drauf.

Wo war ich? Ach ja, gute Bücher, also nichts Historisches mit geschichtlichen Hintergrund oder tausend Seiten lange Essays über peitschenschwingende Schatten von Grau, reisende Kühlschränke – falsch, das Buch ist gut – oder das Liebesleben der Amöbe im arktischen Paläozoikum. Ausgesucht und bezahlt im richtigen Buchladen mit röchelnden… Hatten wir das schon? Gut, das führt ja jetzt auch zu nichts. Oder? Doch. 

Dieser richtige Buchkauf vom richtig guten Kind führte also dazu, dass ich seit ich Dein Buch lese, eine Geächtete bin. Eine extern überwachte Geächtete. Fast wie 007, nur in weiblich und ohne Knarre, da im ersten Leben Friedenstaube. Also, von Anfang des Buches bis Seite 14 habe ich nämlich nicht nur glucksen, lächeln, schmunzeln, grienen und kichern müssen  – nein, nicht kacken, auf keinen Fall kacken! – sondern lachen. Herzhaft wie ne gut geölte Grillwurst. Und lange, echt lange. Und laut. An einem heiligen Sonntag im Garten auf der Terrasse am katholischen Niederrhein. Und alle Grillmeister und Pflanzengießer und Schneckenabsammler und Fischebegucker und Fugenkratzeranbeter und Hochdruckreinigerpeiniger haben das gehört, übern Gartenzaun gelinst und gedacht, ich hätte einen an der Waffel. Jetzt aber endgültig. Geahnt hatten sie das eh.
Und was soll ich sagen? Wo sie Recht haben, haben sie Recht. Wenn ich es bedenke: Sträter macht frei. Danke Herr Sträter. Das hast Du gut gemacht. Und jetzt schnapp Dir mal Deine Capri-Sonne, komm‘ mit auffe Couch, Herr Sträter, das Buch zu Ende lesen. 

 

Titel: „Als ich in meinem Alter war“
Autor: Torsten Sträter
ISBN 978-3-8303-3406-4
Preis: keine Ahnung, ist überklebt, war ja ein Geschenk 

 

Text: ©Andrea Steffen
Foto: Buchcover

Meergleiche

 

Norderney – Historische Badewagen

Egal ob Domburg, Texel,  Fischland, Australien, Maine oder Norderney: Die Motive am Meer gleichen sich.

Meins
Sitzende Möwe auf Pfahl im Meer. Tief gleitende Möwe über vom Wind sacht bewegtem Dünengras. Schreiende Möwe trippelnd zwischen anbrandenden Wellenkämmen.
Oder Schafe. Auf, am, unterem Deich. Liegend, stehend, äsend. Trifft man eines auf dem Rücken liegend mit den Beinen nach oben strampelnd, sollte man versuchen es auf die Seite zu schubsen, damit es wieder aufstehen kann. Zum Dank kackt es einem auf die Schuhe. Genauso schon erlebt.
Und Meer. Blau, tiefblau, türkis, grün, schlammfarben, alle Farben auf einmal, abends auch gerne mal glutrot. Aufgewühlt, brausend, wellend, rauschend, schlafend, arschglatt oder gar nicht zu sehen wegen Nebel. Aber immer bis zum Horizont, wenn man auf der richtigen Inselseite steht.
Betreten verboten
Und Dünen. Betreten verboten, da schützenswert. Legt man sich mal rein, sollte man sich nicht erwischen lassen. Wenn man Glück hat, führen Holzstege oder gepflasterte Wege hindurch. Hat man Pech verbrennt man tausend Kalorien beim Marsch zwischen Fahrrad abstellen und Erreichen des ersten festen Untergrundes.
Der Strand ist auch immer irgendwie gleich. Leer, voll, kurz, lang, weit, hart, weich, weiß, sandfarben (toller Gag, was?), schwarz. Mit Dünen und ohne. Mit Strandkörben oder ohne. Mit Prielen und ohne. Mit Felsen im Wasser oder ohne.
Matjes mit Pelle
Und Fisch, lebendig und tot. In letzterem Zustand in allen Variationen: vom Matjes oder Kibbeling auf die Hand bis hin zu auf dem Lavagrill gedünsteten Jacobsmuscheln in Weißweinsud mit Aromen von Kerbel auf schwarzem Reis mit Ur-Karotte.
Wind ist auch immer da. Also echt immer. Das geht von zart an herrlichen Sonnentagen im Nacken zupfend bis extrem mit Regen gesättigt die Haare schier vom Schopf reißend. Vom bejubelten „Ach-wie-leicht-das-Radfahren-hier-ist-Rückenwind“ bis zum verhassten „Verdammt-immer-dreht-er-auf-der-Rücktour-Gegenwind.“ 

 

Wind und Wetter
So wie Wind ist auch immer Wetter. Schon mal so richtigen heftigen Sturm am Meer erlebt? Ist nicht lustig. Ich glaube, ich hatte selten so viel Schiss wie in dem Moment, als ich mich auf Island auf Knien am Strand von Stein zu Stein wieder ins Auto gerobbt habe, um nicht ins Meer geweht zu werden. Und ich habe selten so überschäumend gute Laune wie immer dann, wenn die Wolkenfront auffasert, die Sonne sich verschmitzt dazwischen schlawinert und dann Meer und Strand und alles mit Licht und Wärme flutet. 

 

Ach so, was ich eigentlich sagen will?
Ja, es ist immer irgendwie gleich. Nämlich gleich schön. Meer schwemmt mich mit blau, macht trunken, füllt mich mit Weite, macht mich großzügig und leicht und gelassen. Stellt Gleichgewicht wieder her.
Und wenn ich da bin, will ich nie mehr weg. Und wenn ich weg bin, will ich sofort wieder hin!

Text und Fotos: ©Andrea Steffen

Abendliches Farbspiel am Nordstrand von Norderney

 

How to stop Nörgeling! 

 

Herrschaftszeiten! Das ist doch nicht zu fassen! Wenn ich bloß in Sichtweite komme, geht die Nörgelei schon los. 

 

„So geht das nicht weiter! Das macht mich total depri, schau mich doch mal an, eine graue Maus. Genau das bin ich. Grau und langweilig und unansehnlich. Ich bin grau und hässlich und schufte mich hier tage- und nächtelang zu Tode. Immer das Gleiche. Das macht mich noch irre. Ich will auch mal ein bisschen Spaß. Ist etwas Abwechslung denn zu viel verlangt? Ich komme ja hier nicht weg. Und dann immer dieser Regen. Die ganze Zeit Regen, Regen, Regen. Und wenn nicht Regen, dann knallt die Sonne hier volles Rohr drauf. Ich mache das nicht mehr mit! Basta.“ 

 

So geht es in einem fort. Ich kann es nicht mehr hören.  

 

„Und was bitte kann ich dagegen tun?“ erbarme ich mich des Gejammers. 

 

„Ganz einfach! Ich will ein Kleid!“ 

 

„Ein Kleid? Ich glaub‘ ich hör nicht richtig!“ 

 

„Jawoll, ein Kleid, ein schönes buntes Strickkleid! Mit Blümchen! Genau! Mit Mustern und Blümchen.“ 

 

„Meine Güte, wenn es weiter nichts ist! Warum hast Du das nicht vorher gesagt?“ 

 

Und in der Tat war es ganz einfach, unser auf der Terrasse gluckernd rauschendes und ständig irgendwie nörgelndes Regenrohr zufrieden zu stellen.  
Ein Strickkleid fürs Regenrohr
Mit Mustern und Blümchen

Ach – und bevor das Rohr vor dem Haus in eine ähnlich prekäre Gemütslage gerät, hat es auch fix ein Kleidchen bekommen. 

Text und Fotos: ©Andrea Steffen

Museumsinsel Hombroich – Langen Foundation 

Kristallschön

Der Zeitpunkt war ideal – die Idee von einer Freundin aus Lüdenscheid auch. Warum nicht mal einen Tag in der ehemaligen Rakektenstation in Neuss verbringen, die heute die Langen Foundation beherbert? Dieser Ort hat was Kurioses, vereint für mich moderne, lichte Architektur aus Glas, Beton und Stahl, verbunden mit Relikten des kalten Krieges und immer wieder herausragenden Ausstellungen.

Die aktuelle von isländisch-dänischen Künstler Olaf Eliason kann ich wärmstens empfehlen. Diese zeigt rund 40 Exponate: Rauminstallationen, Fotografien und Lichtobjekte. Gerade erst installiert wurden auch die Bodenskulpturen Cataract und 47 Roaring Forties anlässlich des 80. Geburtstages von Carl Andre. 

Lichte Architektur

Jetzt im Oktober sind die Erftauen in warme Herbstfarben getaucht, Apfel- und Birnbäume hängen voller Früchte, Tau sammelt sich in Spinnweben – also auch landschaftlich ein schöner Ort zum Eintauchen und Aufatmen.

Relikte aus alten Zeiten
Ehemals Bunker – jetzt Galerie

 

Farbenrausch

 

Bodenskulptur

 

Kochkunst

 

Text und Foto: ©Andrea Steffen

Wilma, mein Täubchen!

Ich war beeindruckt. 

Da liegt man so mehr oder weniger dekorativ auf der Terrasse rum und spürt instinktiv: Irgendwas ist anders.

Es war der Ton, der mich irritiert hat. Ein zartes Fiep-Piepen. Und siehe da, unter der Kastanie saß ein wolliges Knäuel und gab konstant dieses zuvor nie bewusst gehörte Geräusch von sich. Ich bin ja einiges gewohnt an Getier aus unserem Garten, dazu wohnen wir direkt am Feld, die Ernten kriege ich voll mit, die Balzrituale der Fasane, die Wettrennen von Karnickeln und Hasen. Maulwürfe, Igel, entwischte Hunde, Marder, Frösche, Libellen, Lurche, Schmetterlinge, Hummeln, Bienen, Ohrenkneifer, Eichhörnchen in Hülle und Fülle. Die eine Million Nacktschnecken nicht zu vergessen, alles schon dagewesen. Aber so ein kleines graues, fiependes Wollknäuel war mir noch nicht untergekommen.

Bei näherer Betrachtung stellte es sich als Taubenküken heraus. Ganz offensichtlich war es durch den Sturm in der Nacht zuvor aus dem Nest gekegelt worden. Nicht, dass ich für Tauben viel übrig habe. Eigentlich nerven sie mich jedes Jahr, wenn sie in der Kastanie brüten. Dieses beständige Gurren, die abgeknickten Zweige der Johannisbeeren, weil sie die Last der fetten Viecher nicht tragen. Und dazu die ätzenden Hinterlassenschaften auf dem Trampolin, den Autodächern, dem Gartenhaus.

Aber dieses gar nicht scheue Vogeljunge war doch ziemlich süß.

Nur, was macht man mit dem Vieh? Nichts. Abwarten. Die Eltern hüpften hilflos um ihr Junges herum und schlugen sich dann in die Büsche. Rabeneltern.

Kater Nummer eins hatte das gefallene Täubchen mittlerweile auch entdeckt und tigerte ramdösig an der Fensterfront innen im Wohnzimmer entlang. Hin und her, hin und her. Kater Nummer zwei hatte den Schwanz von Kater Nummer eins im Visier. Immer hinterher. Nee Jungs, wenn ich euch jetzt raus lasse, habe ich hier direkt Taubengeschnetzeltes. Das muss ja nicht sein.

Mittlerweile war das Täubchen auf Erkundungstour durch den Garten, nahm ein Fußbad in der Vogeltränke, zupfte an der Kappuzinerkresse, legte den Kopf schief, duckte sich unter die Funkien, sträubte das plustrige Gefieder, wippte mit dem Schwanz, hüpfte auf und ab, zwinkerte und legte sich irgendwann unter die Kastanie neben einen Terrakottatopf.

So weit, so gut.

Unsere Kater sind Freigänger, irgendwann musste ich sie also rauslassen. Gut, dann also nach vorne raus Richtung Feld. Vielleicht haben wir Glück und sie kommen auch vorne wieder rein.

Natürlich nicht!

Was ich dann aber sehe, erstaunt mich zutiefst: Beide Kater sitzen in ungewohnter Eintracht kerzengerade im Garten ca. 50 cm von der Taube entfernt und gucken – mit vibrierenden Schnurrbarthaaren. Sonst nichts. Die Taube guckt zurück. Sonst nichts. Irgendwann wird es allen Beteiligten zu langweilig. Sie trollen sich. Die Taube bleibt, wo sie ist. Ich bin gespannt, ob sie die Nacht überlebt.

Am nächsten Morgen ist sie noch da, ziemlich lebendig für eine kühle regnerische Nacht. Spätestens jetzt muss sie doch vor Hunger schon ganz schwach sein. Keine Spur! Sie übt Hüpfen von Blumentopf zu Blumentopf und nimmt ein Sonnenbad. Die Kater begrüßen sie kurz und ziehen Leine. Meine Nachbarin hat sie mittlerweile Wilma getauft. Ich gehe zur Arbeit.

Am Nachmittag gönne ich mir ein Lesepäuschen auf der Terrasse. Wilma ist noch da. Ich weiß nicht, wie sie überlebt, aber sie überlebt. Auch die nächste Nacht. Unverändert hüpft sie auf der steinigen Einfassung rund um die Kastanie und flattert versuchsweise herum. Ihr stoisches Durchhaltevermögen beeindruckt mich. Respekt.

Gleichzeitig lässt mir das keine Ruhe. Ich rufe den Taubenzüchterverein ein. Natürlich kann man dort mit einer Wildtaube nichts anfangen, aber der Profi beruhigt mich. Die Taube würde von ihren Eltern gefüttert und sicherlich in ein paar Tagen davonfliegen.

Aha! Gut, dann glaube ich das mal. Und siehe da, irgendwann kriege ich die Fütterung mit. Die Taubenmutter lockt Wilma mit gurrenden Lauten an unseren Zaun und nutzt einen halb umgestülpten Speißeimer für die Speisung der Hungrigen. Raffiniert. Wofür die Natur doch so alles Sorge trägt. Alle Achtung.

Am nächsten Morgen begrüße ich Wilma beim Raustragen des Mülls. Mopsfidel und keck guckt sie mich an, macht keine Anstalten abzuhauen. Ich gehe trotzdem auf Distanz. Schließlich will ich kein Haustäubchen großziehen. „Wilma, ich geh‘ jetzt ins Büro, bleib sauber.“ Was man halt so sagt zu seinen Lieben, wenn man das Haus verlässt.

Nach Büroschluss ziehe ich mit einer Tasse Kaffee meine Runde durch den Garten, wie meistens wenn ich erstmal runterkommen will. Auch wie meistens schleichen die Kater auf der Jagd nach Streicheleinheiten hinterher. „Wilma? Wilma?“ Keine Wilma zu sehen.

Und dann doch. „Inglourious Basterds“ schießt mir durch den Sinn, dann das Wort „Taubenschlag“. Der Anblick ist mir vertraut. Das war mit Sicherheit ein Raubvogel, ein Bussard vielleicht.

Schade, ich hätte es Wilma gegönnt, auch wenn sie dann in der Kastanie genistet und dauernd auf unsere Markise gekackt hätte.

Ich beseitige die Hinterlassenschaften und gönne mir ein Schnäpschen.

Auf dich Wilma, du stoische Seele!