Die Sache mit den Fotos und der Weile

 

Das mit den Fotos ist ja grundsätzlich so eine Sache. Das mit den Urlaubsfotos besonders. Natürlich nimmt man sich unmittelbar nach dem Urlaub vor, die Fotos zu sortieren, auszumisten und am besten noch zu bearbeiten. Vor allem ist die Erinnerung dann noch so frisch, dass man Ortsnamen, Kirchturmhöhen und Anzahl von am Abend konsumierten Gläschen Wein problemlos für Bildunterschriften aus dem Gedächtnis zitieren kann. Dann könnte man im Prinzip eine schöne Fotostrecke basteln und seinen Freunden brühwarm unter die Nase reiben, dass man mal wieder zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit den richtigen Leuten, der absolut richtigen Kamera und dem überaus richtigen Fotografenblick die allerallerschönsten Augenblicke des Jahres für die Ewigkeit festgehalten hat.
Soweit die Theorie.
Dass das nie klappt, weiß jeder. Ich auch! Theoretisch.

Also speichere ich immerhin eineinhalb Wochen nach dem Urlaub die Fotos schon mal auf Festplatte. Da ruhen sie dann. Fünf Tage später schaue ich noch mal nach, ob sie noch da sind. Sind sie. Das ist schon mal gut.
Weitere fünf Tage später erinnere ich mich, dass da was war. Ach ja, die Fotos. Könnte man ja mal angucken. Auch das tue ich und freue mich. Und krame schon mal im Gedächtnis nach Ortsnamen. Ahrenskoop oder Ahrenshoop oder Arenshob? So oder ähnlich auf alle Fälle.

Dann geht das Telefon und unterbricht mein ordnungsliebendes Tun für weitere 5 Tage.

Und irgendwann kommt ein regnerischer Sonntagnachmittag. Die Freundin sagt die geplante Kaffee-Sekt-Runde ab, der Gatte schiebt einen Sonderdienst, das Kind hat sich mit Soap Operas verschanzt, das fünfte Mal Mahjong auf dem Pad muss auch nicht sein und das Bügeln schon gar nicht.
Das ist die Stunde des Sichtens, d.h. die StundeN des Sichtens. Ich sichte 1.380 Fotos und wundere mich dabei, wie mein Reisebegleiter das mal wieder ausgehalten hat, dass ich für eine bessere Perspektive auf sämtliche Mauervorsprünge in Wismar klettern musste, 10.000 verschiedene Einstellungen ausprobiert habe, um noch ganz schnell das Abendlicht am Strand einzufangen und außerdem ständig im Sand, in den Dünen und am Straßenrand rumlag, ohne dass Leute auf mich getreten sind. 
Nach diesen Betrachtungen, drei Tassen Milchcafé und außerdem zweieinhalb Stunden später, fange ich an zu sortieren. Aus 1.380 innerhalb von 9 Tagen geschossenen Bildern werden 172. 

In Worten: einhunderzweiundsiebig! Zu viel, viel zu viel. Das kann man keinem zumuten. Ich muss noch mehr löschen. Aber eigentlich finde ich hier das Dünengras sehr nett abgelichtet und wie auf dem nächsten Foto die Sonne das Dach der Strandhütte golden färbt, ist auch nicht übel. Oder wie sich das Seegras um die Poller windet.

Jau, und diese Möve, die so clever und erpicht auf der Fischbude hockt. Nur … will das alles jemand sehen? Sagt das was über das Reiseziel aus? Interessiert das überhaupt auch nur irgendeine Socke? Ich nehme mal den dreiundzwanzigsten Leuchtturm aus der Serie raus.

Ich lösche weiter. 50 Fotos gehen maximal. Aber dann … ja dann … bleiben nur noch Denkmäler und ein Strand und ein-zwei Kirchen, die Deutsche Alleenstraße und die Gorch Fock II, einmal Himmel, einmal Wolken, noch einmal Strand, ein Fahrrad und ein Fischbrötchen. Bei den Kreidefelsen hatte ich wohl einen Klickflash. Herrje! Löschen…alles löschen!

Ich trinke mehr Kaffee, was natürlich äußerst hilfreich ist. Dann lösche ich das Foto mit der Schnecke im Gras, denn so eine hatte ich schon mal in einer Fotostrecke über den Bodensee. Das Foto auf dem mein Fuß zu sehen ist, der sichtbare Sonnenspuren von der Wandersandalen trägt, kommt auch weg. Und die siebenunddreißigste Möve lösche ich einfach so und gleich hinterher eines der Fotos von Lübeck by night und eines vom Stralsunder Rathaus und diese und jenes und das von der Oma im Strandkorb, das ich eigentlich so schön finde. Bleiben 160 Fotos. Es dunkelt so langsam. Ich muss mal gähnen.
Den Tatort lasse ich Tatort sein und ordere stattdessen zur Leibes—und Geistkräftigung. Leberwurstbütterchen und Gurke.
Okay, aus 150 Fotos mache ich drei Fotostrecken und werfe sämtliche Prospekte, Landkarten und Reiseführer des Urlaubs um mich. Noch ein Gähnen. War das vorhin koffeinfreier Kaffee?
Dann texte ich die Bildunterschriften für die ersten 50 Fotos und fächel mir mit den Tickets vom Stralsunder Ozeanum Luft zu. Jetzt ja nicht schlapp machen. Von unten ertönt der saublöde Tatort-Ende-Jingle. Mörder gefasst. Auch ich gehe in den Endspurt. Die Nacht naht. GÄHN!
Die erste Fotostrecke steht. An sich könnte ich jetzt die Bilder noch nachbearbeiten, zumindest Bildausschnitt, Kontrast, Helligkeit. Aber … ist gut jetzt. Doppelgähn! Es reicht. Die Fotos bleiben wie sie sind und in schätzungsweise 5 Tagen finde ich bestimmt die Zeit, die erste Fotostrecke dann auch mal zu posten. Im November hoffentlich die zweite und irgendwann an Weihnachten die dritte.
Tja, gut Ding will eben Weile haben.

 

 

4 Antworten auf „Die Sache mit den Fotos und der Weile“

  1. Zu dem Straßenschild sage ich aber was. Es gibt dazu nämlich eine Geschichte. Die Straße gab es früher in Wismar. Dort haben die Bürger erkannt, dass es Sinn macht, die Häuser der Innenstadt nicht Mauer an Mauer zu bauen, da sonst im Brandfall das Feuer zu leicht auf das Nachbarhaus überspringen würde. Also haben sie ganz kleine Gäßchen zwischen den Häusern gelassen. Und wenn man da jemandem begegnet ist, kam man um einen gewissen Körperkontakt nicht drumherum, den der ein oder andere für sich lustvoll zu nutzen wusste. So jedenfalls hat es der Fremdenführer erklärt.

    Und jetzt begebe ich mich mal in Couchlage 😉

  2. Hallo Andrea, genau so isset! Und ich hab auch noch die gleichen Fotos 🙂 War ebenfalls in Wismar, Fischland Darß, Zingst. Festplatte leider noch nicht bereinigt und alles im RAW-Format. Nächstes Jahr bleib ich zuhause……
    Lieben Gruß
    Peter

  3. Die Schritte 1 – 3 mache ich auch immer. Leider gerät das Programm danach in eine Endlosschleife und wiederholt immer Nur den 3. Punkt. Bestimmt seit 5 Jahren. So wird das nie was mit vorzeigbaren Bilderstrecken.

    Die Oma nimm wieder rein, die ist klasse. Gibt es das "Seegras an Poller" auch aus der Perspektive Bauchlage? Der sonnengezeichnete Fuß gefällt mir ebenfalls und zu dem Straßenschild sag ich jetzt mal nix. 

    Aber zum Text: Schön 🙂

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