Fünf Mark für keinen Haarschnitt

Mein Oppa, Teppich knüpfend auf dem Balkon

Am folgenden Samstag machte ich mich also ausnahmsweise schon eine halbe Stunde früher auf den Weg zu meiner Omma zum Haaremachen. Das lief ab wie gehabt. Für den Haarschnitt von Oppa Karl hatte ich eine halbe Stunde eingeplant. Also eher für seinen Haarkranz.Einmal Pläte polieren. Das sollte doch wohl nicht so schwer sein, zumal Oppa weitaus unkomplizierter mit seiner verbleibenden Haarpracht umging als meine Omma. Männer sind da irgendwie lockerer.

 

Ältere. Oder?

Wie auch immer, Oppa brauchte weder den Spiegel als Kontrolle, noch wollte er sich vorher die Haare waschen. „Ach watt. Trockenschnitt wie immer.“ Also rückte sich Oppa den Küchenstuhl mitten in der Küche zurecht und nahm Platz. Ich drapierte Ommas grünen Frisierumhang um ihn herum.

Schade, dass es damals noch keine Smartphones gab. Das wäre auf jeden Fall ein Foto wert gewesen. „Dass Ihr mir ja auch gleich die ganzen Haare hier wegsaugt“, ließ meine Omma verlauten und stellte den Vorwerk schon mal in Reichweite. „Ja Ommi, saugen ist mit inbegriffen.“ Dann konnte es losgehen. Selbstbewusst griff ich zu Haushaltsschere und Kamm, kämmte glatt, was da so an Haaren übrig war und machte mich ans Werk.

Alles kein Problem. Hier ein bisschen und da ein bisschen und dann erstmal gucken. War ein wenig asynchron, aber nichts was man nicht geraderücken könnte. Also links noch was ab und rechts dann noch mehr und hinter den Ohren schön ausschneiden und dann hier noch was ab und da noch was ab und zuletzt natürlich den Nacken ausrasieren. Sah toll aus!

Ich war mir sicher, hier eine neue und regelmäßige Geldquelle aufgetan zu haben. Ich würde Oppa jetzt alle zwei Wochen die Haare schneiden – mindestens – und somit alle vier Wochen auf dem Rücken von Blacky die ewigen sauerländischen Weideweiten durchqueren. Oppa befreite sich vom Frisierumhang und machte sich auf den Weg zum Flurspiegel.

Er sagte nichts, wendete sich, drehte sich, wollte dann doch mal den Handspiegel zum Gucken haben. In froher Erwartung, dass er seinen neuen Look und frischen Style zu würdigen wusste, drängte ich ihn zu einem Urteil. „Sach schon, wie findste denn?“

Mein Oppa nestelte umständlich seine Brieftasche aus der rechten, hinteren Hosentasche und zückte einen 5-Mark-Schein. Er überreichte mir ihn mit den Worten: „Versprochen ist versprochen. Aber das Geld kriegste dafür, dass Du mir nie mehr im Leben die Haare schneidest!“

Foto und Text: ©Andrea Steffen