Très français

Austern, Schnecken und Crevetten

Mon dieu, ist das lange her, dass ich in Frankreich war. Ich meine so richtig in Frankreich. Nicht ein paar Tage in Paris, wo man von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit taumelt und das ganze Drumherum  nur so nebenbei mitkriegt. Und Paris ist sowieso un peu spèciale.

Ich meine das echte Frankreich, wie jetzt in der Normandie. Plötzlich stellen sich die ganzen Erinnerungen wieder ein; alles das, was ich in meiner Zeit als fille au-pair (lang, lang, sehr lang ist’s her!) als typisch französisch empfunden habe, z. B. schick gekleidete Frauen, die in Papier gewickelte Baguettes auf Stöckelschuhen nach Hause tragen. Wobei es mir unmöglich erscheint, einem wirklich frischen Pain oder Flute, wie man hier sagt, zu widerstehen. Ich habe das seinerzeit nicht geschafft und schaffe es auch jetzt nicht.

Ein vollständiges Baguette – ein Wunder!

Ich schlendere durch die malerischen Gassen von Honfleur und plötzlich fällt mir diese Rinne im Kopfsteinpflaster auf.  In Paris wurden täglich – jawoll, täglich! – die Straßen gewaschen. Es ging ’ne Menge Wasser da den Bach runter. Mittlerweile gibt es genauso kleine wendige Kehrmaschinen wie bei uns, die hier durch die Sträßchen sausen. Aber immer noch sieht man wie vor den Restaurants das Trottoir mit einem Wasserschlauch gesäubert wird.

Schmuck, oder?

Apropos sauber: Der Müll wird täglich abgeholt. Man deponiert seine Mülltüten an einer bestimmten Straßenecke bis abends 19 Uhr und am nächsten Morgen sind sie verschwunden. Wer in diesen engen Gassen hier Mülleimer auf die Straßen stellen würde, würde vermutlich gelyncht. In Paris weckten mich täglich die Müllmänner punkt sechs Uhr, wenn sie die Tonnen klappernd am Straßenrand wieder deponierten.

Wo sind übrigens die laut hupenden und wild gestikulierenden Autofahrer hin? Alle in Paris geblieben?  Und was ist aus den für Fußgänger eine permanente Bedrohung darstellenden Blechbeulen geworden?  Hier sind die Autos weder verbeult, noch verhalten sich die Fahrer unfreundlich. Es wird nicht gehupt, es wird angehalten. Ist das noch Frankreich hier? Es geht erstaunlich gesittet zu in den Straßen der Normandie.

Sehr entspannt empfinde ich auch den französischen Alltag hier. Zwischen 12 und 14 Uhr sind die meisten Läden dicht. Mittagspause. Viele der Restaurants öffnen nicht vor 18.30 Uhr und danach sind sie gut gefüllt. Man lässt sich Zeit mit dem Essen.

Und man probiert. Egal ob im Laden oder auf dem Markt. Erstmal testen, was man denn da für gutes Geld in den normannischen Einkaufskorb wandern lässt. Und selbstverständlich wird das alles erst einmal diskutiert.

Äpfel auf dem Markt von Honfleur

Ich sehe viele Franzosen, die mal eben auf einen Plausch stehenbleiben, das Neueste vom Neuesten austauschen. Smartphones sehe ich relativ selten, bei jungen Menschen öfter, aber auf dem Tisch beim Essen?

Laissez-faire

Fehlanzeige.

 

Beim Aufstieg zu den Klippen von l’Ètretat werde ich von jungen Leuten überholt. Sie reden ununterbrochen. Das ist beneidenswert – sowohl das Tempo als auch die Puste als auch das nie ausgehende Gesprächsthema.

Die entspannte Gelassenheit, die Kommunikationsfreude und die Lust am Leben und Genießen, an Natur und Kunst  schwappen in diesem Urlaub schnell auf mich über. Ich lasse es laufen, verbringe unglaublich viel Zeit mit Beobachtungen, plane so gut wie nichts, lasse den Tag auf mich zukommen, nutze gutes Wetter für ausgedehnte Strandspaziergänge, lasse sehr oft die Kamera im Feriendomizil und gehe bei Regen ins nächstbeste Museum.

Savoir vivre geht also. Es wäre schön, sich das zu erhalten und wenigstens ein bisschen davon mit in den deutschen Alltag zu nehmen.

Alors alors …

Text und Fotos: ©Andrea Steffen